Leseprobe: Geduld ist die Kunst, nur langsam wütend zu werden

marawinter Literaturbetrieb Leave a Comment

CoverkekseIch bin ein ausgeglichener und toleranter Mensch, daher akzeptiere ich Laras Verhalten, auch wenn ich ihre Spielchen etwas albern finde.

Ich selbst habe eine eher frustrierende Beziehung hinter mir und will mich erst mal von Männern fernhalten. Jetzt beginnt ein neues Kapitel in meinem Leben und diesmal werde ich alles besser machen. Ich werde mich nicht überstürzt verlieben und keine unüberlegten Entscheidungen mehr treffen.

Bei Männern hatte ich irgendwie nie so das richtige Händchen.

Der Erste war wie ich noch Jungfrau und wollte es hinter sich bringen, um ein Mädchen aus seiner Klasse zu beeindrucken. Mit mir hat Ralf sich nur getroffen, „um den Beischlaf zu üben“, damit er bei Desirée nicht versagt. Das hab ich allerdings erst später erfahren. Ich fand es irgendwie niedlich, wie er meinen Bruder auf dem Schulsommerfest nach meiner Adresse gefragt und dann spontan im Regen bei uns Sturm geläutet hat, um mich ins Kino einzuladen. Ich wusste damals nicht, dass der Nightliner ausgefallen war und er bloß im Trockenen warten wollte, unser Haus steht nämlich direkt an der Haltestelle.

Seine Unerfahrenheit hielt ich für Schüchternheit, seine Unverschämtheit für Charme. Unnötig zu erwähnen, dass wir nicht bis zum Kino gekommen sind und es keine drei Minuten gedauert hat. Danach wollte er mir zwanzig Euro geben, damit ich ihn nicht auf Kranzgeld verklage. Ich war zu verblüfft, um ihn rauszuschmeißen, das nagt heute noch an mir.

Der Zweite, Arne Eisenmann, war tatsächlich in mich verliebt, wollte aber gern mit achtzehn heiraten und Kinder haben. Als ich Schluss machte, hat er gedroht, sich umzubringen und allen meinen Mitschülern erzählt, was für ein eiskaltes Miststück ich bin. Ihn habe ich auch nicht in bester Erinnerung, vor allem weil er wollte, dass ich schon mal seinen Namen für die Unterschrift übe und er mich beim Sex immer „Frau Eisenmann“ genannt hat.

Mit Malte war dann alles perfekt, bis er mir kurz vor dem Abi gestand, dass er sich seit drei Jahren in einer festen Beziehung befand. Allerdings habe er sich wirklich in mich verliebt und überlege daher, seine Freundin Sina zu verlassen. Ich war geschockt, verzieh ihm aber den doppelten Betrug und wartete mehrere Wochen lang auf den „günstigen Moment“, in dem er ihr die Wahrheit sagen würde.

Dieser traf leider nicht ein, dafür eine E-Mail, in der Malte unsere „Amour fou“ beendete. Er teilte mir mit, er könne nicht zwei Frauen gleichzeitig lieben und habe daher seine Gefühle für mich auf Sina übertragen. Sie seien jetzt frisch verliebt und wir dürften uns nie wiedersehen.

Demütigenderweise muss ich gestehen, dass ich ihn nicht zum Teufel schickte, sondern um eine Aussprache bat, im Verlauf derer ich versuchte, ihn von mir zu überzeugen. Armselig, ich weiß. Als er auf seiner Entscheidung beharrte, drohte ich, ihr alles zu erzählen. Daraufhin bat er mich um eine Woche Bedenkzeit. Im Laufe der acht folgenden Tage brachte er es fertig, umzuziehen, seine Nummer zu ändern und sich bei allen sozialen Netzwerken abzumelden.

Als ich am Entscheidungstag zitternd vor seiner Haustür stand, öffnete mir ein unbekannter Russe, der das Zimmer kurzfristig möbliert gemietet hatte. Wladimir wusste weder Adresse noch Handynummer seines Vormieters, dafür beschrieb er Maltes Freundin bildlich als „schönes Frau, wie Sanduhr“, wozu er unterstützend eine Acht in die Luft zeichnete.

Mein Liebeskummer kostete mich acht Wochen Lernzeit, sodass ich wirklich nur noch knapp bestand. Meine Noten sind so schlecht, dass ich nur noch studieren kann, denn auf einen Ausbildungsplatz hab ich keine Chance.

Ich wäre eigentlich gern Buchhändlerin geworden, aber mit einem Schnitt von 3,9 braucht man da gar nicht erst anzutanzen. Also entschied ich mich, Literatur zu studieren.

„Du kannst nicht einfach Literatur studieren“, hat Philippa mich aufgeklärt, „da musst du schon Germanistik machen und dazu gehört auch Sprachwissenschaft. Das kann ich mir bei deiner mathematischen Minderbegabung wirklich ganz schlecht vorstellen.“

„Wieso mathematisch?“, fragte ich misstrauisch. Mathe gehört, nun ja, tatsächlich nicht zu meinen Stärken.

„Linguistik oder Sprachwissenschaft ist eine systematische Aufschlüsselung der Grammatik, die in unterschiedlichen Schemata dargestellt wird. Und da seh ich, ehrlich gesagt, schwarz für dich“, erläuterte Philippa mir triumphierend.

Schön, dass meine Familie mich immer unterstützt.

Außerdem hat Pippa gut reden, die hat sich gleich im ersten Jahr schwängern lassen und deshalb „schweren Herzens“ ihr Studium aufgegeben. Schließlich braucht ein Kind seine Mutter rund um die Uhr, sonst wird es später mal kriminell.

Aber ich bin zuversichtlich, ich habe das Abitur trotz privater Probleme hinter mich gebracht, da werde ich mit so ein bisschen Sprachwissenschaft schon fertig. Wenigstens bin ich jetzt endgültig über Malte hinweg. Wer braucht schon einen Typen, der sich von einem Russen verleugnen lässt? Und ich habe es auch nicht nötig, das dritte Rad am Fahrrad zu sein!

Trotzdem hab ich bisher wirklich kein Verlangen nach einem neuen Mann. Lara hat mir verschiedene Vorschläge unterbreitet, aber erstens sind mir ihre Kumpels zu alternativ – was teilweise mit einer Abscheu gegen Wasser und Seife einhergeht – und außerdem finde ich so eine Kuppelei kindisch. Die Liebe läuft einem eben über den Weg oder nicht, das kann man doch nicht planen wie einen Umzug, für den man eben mal ein paar Freunde organisiert.

Bisweilen verstehe ich Lara nicht so ganz. Irgendwie hat sie ein ganz anderes Verhältnis zu Männern, Sex und Beziehungen als ich. Manchmal weiß ich gar nicht genau, was ich von ihr halten soll. Mit ihren langen schwarzen Haaren und ihren alternativen Kleidchen ist sie eine Mischung aus Hippiemädchen und Vamp. Sie liebt Pathos, David Bowie und deutsche Filme. Sie kann sich in die Seelenlage von Terroristen, Schildkröten und dem Müllmann an der Ecke einfühlen und Tränen über das Schicksal sämtlicher Reality-TV-Protagonisten vergießen. Andererseits geht sie bei der leisesten Provokation in die Höhe und droht schon mal mit Selbstmord, wenn man ihr nicht genügend Gesprächsanteile beim abendlichen Geplauder eingeräumt hat.

Daher habe ich beschlossen, mich defensiv zu verhalten und mich erst mal auf die Uni zu konzentrieren.

 

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Summa cum Liebe

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