Leseprobe aus Summa cum Liebe:
Lara trägt ein schwarzes Spitzenkorsett unter einem unschuldigen Kapuzenpulli. Sie sieht aus wie eine böse, sexy Mangafigur. Ich raffe mich zu einem Push-up-BH unter meinem schwarzen Shirt und Ohrringen auf, High Heels sind mir allerdings ein zu hoher Preis für ein einfaches Abendessen, vor allem im November. Dafür klatsche ich mir extra viel Schwarz um die Augen und leihe mir einen figurschmeichelnden Mantel von Lara, die meine Daunenjacke stillschweigend ausgemustert hat.
Wir kommen absichtlich zu spät, um uns einen Überblick über die Situation zu verschaffen. Wenn die wie Triebtäter aussehen, sind wir sofort wieder weg, das ist mal klar. Aber durchs Fenster sehen wir zwei harmlos aussehende, langweilige Durchschnittstypen am strategisch günstig reservierten Tisch, die eher nervös wirken. Also rein in die Höhle des Löwen.
Lara ist auf einmal ganz klein und lässt mich vorgehen, was bei mir kurzzeitig für Verwirrung und Staunen sorgt. Aber was soll’s. Uns kann hier wirklich nichts passieren, die Kerle haben weder unsere richtigen Namen noch unsere Adresse oder Telefonnummer, und im Raum befinden sich mindestens zehn weitere Personen.
„Hallo“, sage ich leicht verlegen.
Die Typen schauen etwas verdutzt, sind aber freundlich und wirken eher positiv überrascht.
„Jana und Melli?“, fragt der eine.
Na ja, wer soll sie sonst in einem gutbürgerlichen Lokal so mir nichts dir nichts ansprechen? Sie sehen nicht gerade aus, als würden sie mit Kontaktanfragen überhäuft.
„Yo“, sage ich.
„Na, alles klar?“, fragt der Zweite.
„Yap.“
„Wollt ihr euch nicht setzen?“, bietet uns Typ Nummer eins an. Anscheinend haben sie vereinbart, sich die wohl unerlässliche Konversation gerecht aufzuteilen, was man von uns nicht behaupten kann, Lara kriegt nämlich keinen Ton raus.
„Doch“, sage ich und rücke uns die Stühle zurecht. Glücklicherweise sind sie mit Stoff bezogen, sodass ich mein Isolierkissen nicht auspacken muss, das käme vielleicht nicht ganz so cool.
Meine drei Begleiter schweigen. Das ist irgendwie gar nicht fair.
„Und wie geht’s euch an diesem rauen Herbstabend?“, erkundige ich mich schließlich. Übers Wetter kann man ja immer sprechen.
„Bassd scho.“ Scheiße, sie sprechen fränkisch. Damit hätten wir rechnen sollen, wo wir uns doch in Franken befinden, aber wir hassen es eben einfach.
„Habt ihr so was schon öfter gemacht?“, frage ich weiter.
„Nein. Und ihr?“
„Wir, oh nein. Wir sind sehr schüchtern und das ist unser erstes Mal.“ Jetzt bin ich schon mutiger.
„Und welche von euch ist jetzt die Jana?“
„Das bin ich“, sage ich schnell, denn Lara hat überdeutlich signalisiert, dass sie heute auf keinen Fall belästigt werden möchte. „Meine Freundin ist nur mitgekommen, um auf mich aufzupassen.“
„Ich beiße nicht“, sagt der Erste und lacht nervös.
„Das sagst du jetzt, aber man kann nie wissen“, entgegne ich, „im Internet lauern potenzielle Gefahren.“
Er ist offenbar Marco26 und der andere sein „Spezl“ Jochen.
Eigentlich könnte ich das wirklich für meine Deutsch-Didaktik-Arbeit verwenden, vielleicht freut es den Dozenten, wie intensiv ich mich mit der Materie auseinandersetze.
„Machen wir ein Foto?“, frage ich, denn für unsere Kuriositätenwand sind die beiden allemal geeignet.
„Na logen!“ Jochen grinst und legt den Arm anbiedernd um Lara. Ich erwische die beiden gerade noch, bevor sie ihn grob wegschlägt.
„Was wollen wir essen?“, fragt sie eisig. Ach richtig, das ist ja der Anlass dieses bezaubernden Rendezvous.
Mein Handy piept.
wenn er mich noch einmal anfasst, bin ich weg, und du musst dich vergewissern, dass sie zahlen, schau dir die preise an, schreibt Lara. Anscheinend will sie den Mund heute wirklich nur noch zum Essen öffnen.
Okay, aber wie mache ich das am subtilsten?
„Es ist schön, heutzutage noch auf solche Gentlemen wie euch zu treffen, die junge Damen gepflegt zum Essen ausführen, anstatt sie in eine laute Disko zu schleppen“, sage ich nervös.
Lara nickt anerkennend, und Marco grinst geschmeichelt. Jochen guckt allerdings ziemlich verkniffen.
„Was ist los? Gefallen wir dir nicht? Bist du enttäuscht von uns?“ Wahrscheinlich findet er mich auch zu dick.
„Nein, ihr seid toll“, gibt er schwer atmend zurück, „es ist nur so, dass ich mir in den Arsch beiße, weil ich eine Freundin habe und deswegen später nicht mitkommen kann.“
„Wohin gehen wir später denn?“, erkundige ich mich arglos.
„Na, zu mir“, sagt Marco erstaunt. Ach so, er hat anscheinend einen konkreten Plan.
Ich sehe Lara Hilfe suchend an, aber die ist in die Speisekarte vertieft oder tut zumindest so.
Wir bestellen Lasagne mit frischem Mangold, Gorgonzola und Nüssen und vertagen den Diskussionsgegenstand auf den Zeitpunkt nach dem Abschlusskaffee. Das Essen ist hervorragend, ich kriege allerdings kaum einen Bissen runter. Lara und ich kommunizieren nur noch per SMS und ich sehe mich gezwungen, mir eine Strategie zu überlegen.
„Also, es ist so“, wende ich mich schließlich an Marco, „wir würden schon sehr gern mit zu dir kommen, aber leider geht das nur, wenn ihr beide mitkommt, denn sonst ist es ungerecht.“
„Ich werd auch mit euch beiden fertig“, sagt Marco notgeil und wirkt auf einmal weit weniger nett.
„Na ja, das glauben wir dir schon, aber für uns lohnt es sich nur, wenn wir mal was Neues erleben. Wir haben in letzter Zeit ständig Dreier gehabt und das gibt uns irgendwie nichts mehr“, improvisiere ich kühn.
„Ich dachte, ihr machert des heute zum ersten Mal“, hakt Jochen misstrauisch nach.
„Ja, übers Internet ist es das erste Mal. Aber in der Disko nehmen wir schon öfters mal jemanden mit nach Hause.“
„Ich dachte, ihr mögt keine Diskos?“, insistiert Marco.
Wer kann ahnen, dass diese Trottel sich tatsächlich an alle Details unseres Gesprächs erinnern können?
„Nee, mögen wir auch nicht“, sage ich bissig, „aber es ist sonst recht schwierig, jemanden kennenzulernen, und wir haben einen großen Bedarf.“ Das nimmt er mir niemals ab.
„Ich verstehe“, murmelt Marco zu meiner Verwunderung.
„Das freut mich. Deswegen finden wir es auch so toll, euch getroffen zu haben, denn man merkt gleich, wie aufgeschlossen ihr seid.“
„Ja, aufgeschlossen sind wir schon“, sagt er sabbernd.
Plötzlich geht es ganz leicht.
„Dann werdet ihr uns sicherlich unseren sehnlichsten Wunsch erfüllen …“
„Und der wäre?“
„Wir wollen unbedingt mal dabei zusehen, wie zwei Männer es miteinander tun.“
„Was?“
„Ja, das würde uns so richtig in Fahrt bringen.“
„Und ihr tätet’s dann auch miteinander treiben?“
„Klar, wenn ihr es vor uns macht“, sage ich mit einer Stimme, die keine Zweifel aufkommen lässt.
Marco denkt angestrengt nach.
„Ich schlagert vor, ich nehmert dei’ Freundin und du nimmst an Jockel, des wär logischer, hätt ich gsacht.“
„Wir hätten das nicht gsacht“, mischt Lara sich endlich ein, „wir hätten gsacht, dass ihr miteinander ficken tut und danach steht natürlich der Weg für alle anderen Konstellationen offen“, bringt sie unseren vermeintlichen Herzenswunsch lächelnd auf den Punkt.
„Nee, also des führt zu weit“, sagt Marco empört.
Es entbrennt ein Interessenskonflikt, denn Jockel scheint die Option in Erwägung zu ziehen, sich seinem Spezl sexuell zur Verfügung zu stellen, um hinterher mit zwei Frauen kopulieren zu dürfen, während Marco das für untragbar hält.
„Wir gehen mal für kleine Mädchen und warten dann draußen, bis ihr euch geeinigt habt“, werfe ich elegant ein und raffe Handtasche, Schal und Mantel von der Stuhllehne. Lara folgt mir geistesgegenwärtig, wir müssen nicht mal rennen.
Das Letzte, was wir hören, ist: „Ich bin ned scharf auf dein kümmerlichen Arsch, aber die Heike lasst mich frühestens Silvester wieder ran“, dann lassen wir die Restauranttür hinter uns zufallen, springen ins Auto und brausen los.
„Respekt, Mäuschen, das war allererste Sahne“, sagt Lara anerkennend, aber ich merke auch ohne ihre lobenden Worte, dass ich gerade Großes geleistet habe. Ich glaube, so cool war ich noch nie in meinem Leben. Wir hören Radio F, rauchen durchs offene Fenster und kriegen uns nicht mehr ein vor Kichern.
„Wir müssen unsere Taktik optimieren“, sagt Lara, „am besten, wir schreiben nächstes Mal gleich vorher, dass wir besondere sexuelle Wünsche haben, die sie uns erfüllen müssen, und dass wir irgendwelche psychischen Probleme haben, sodass wir in Gesellschaft nicht viel reden können.“
Lara tut meinem Selbstbewusstsein ausgesprochen gut und ich beschließe, das Treffen tatsächlich in die Analyse einzubeziehen. Aber Hunger hab ich immer noch, hätte ich mir die Lasagne doch einpacken lassen! Na ja, meiner Figur kann ein Fastentag nicht schaden. Oder wir fahren noch schnell bei Burger King vorbei, liegt eh auf dem Weg.