Beispielsitzung: Die Traumatherapie für Weihnachtsgeschädigte hat noch Plätze frei

marawinter Kurios, Literaturbetrieb Leave a Comment

Advent und Weihnachten waren bei uns immer wie ein langes, aufregendes Vorspiel mit einem ziemlich enttäuschenden Koitus.

„Ich geh mit ihm, wohin er will“, sagte Angela. „Nur nicht zu einer verfickten Weihnachtsfeier!“

„Angela, seit wann fluchen Sie denn?

„Nur, wenn es absolut nicht zu vermeiden ist.“ Angela tauchte ihren Keks in den Zimttee.

„Aber Sie lieben die Dekoration, die Lieder, die Lichterketten.“

„Ich mag den Advent, ich hasse nur Weihnachten an sich.“

„Keine Kindheit kann so beschissen gewesen sein, dass man einen Hass auf Weihnachten entwickelt.“

„Es ist weniger Hass als nackte Panik. Wenn die ersten Kaufhäuser Rudolph spielen, verlege ich mich aufs Internetshopping.“

„Es kann nicht jedes Mal so schlimm gewesen sein, oder?“

„Nein, einmal nicht. In diesem seltsamen Jahr ist alles glattgegangen.Das hat mich noch mehr verstört als der Rest. Offenbar war es also gar kein Naturgesetz, dass der Heilig Abend bei Schusters im dritten Höllenkreis stattfindet. Meine Eltern waren einfach nur zu blöd, es hinzukriegen.  Advent und Weihnachten waren bei uns daheim immer wie ein langes, aufregendes Vorspiel mit einem ziemlich kläglichen Koitus. Ein, zweimal nimmt man ihm das ja nicht übel und tröstet sich damit, dass doch sonst alles super gelaufen ist. Aber nach dem zehnten Mal wird man doch misstrauisch. Warum verspricht er dir das Glitzernde vom Himmel herunter, wenn er doch nur eine geknickte Tannenspitze vorweisen kann.“

„Angela, ich kann Ihnen nicht mehr ganz folgen. Reden wir noch über Weihnachten oder über den Sex mit Ihrem Exmann?“

„Da gibt es keine großen Unterschiede. Meine Eltern waren jedenfalls vollkommen impotent darin, den Heiligen Abend zum Strahlen zu bringen. Sie versprachen uns mordsmäßige Geschenke, Spiele und Leckereien, aber meistens bekamen wir nur Zeug aus ihrer Grabbelkiste, das sie loswerden wollten. Und die Leckereien waren steinharte Plätzchen, die sie der Oma abnehmen mussten, um sie nicht zu enttäuschen. Dass sie uns damit enttäuschten, war ihren wohl egal. Außerdem stritten sie sich so gräßlich wie das ganze Jahr über nicht. Wir hofften immer, dass sie es diesmal endlich fertigbringen, sich zu trennen. Aber nix.“

„Und später? Als Sie das Fest für ihre eigenen Kinder ausrichten konnten?“

„Ich habe wirklich alles versucht. Wir haben Plätzchen gebacken, Wunschlisten gemalt und befolgt. Ich habe jedes Jahr nach einem anderen Motto geschmückt. Die Kinder durften sich aussuchen, ob sie zur Christmette gehen wollten oder nicht. Aber sie waren zu Tode gelangweilt. Die Geschenke waren blöd, weil sie ja schon vorher wussten, was sie bekamen. Das Essen war blöd, weil es kein Fast Food gab.

Erst als sie sich am 24. verziehen durften, sobald sie wollten, kehrte eine gewisse Ruhe ein. Doch dann war ich mit meinem Mann alleine. Ich wünschte mir ein wenig Weihnachtskitsch, mit Eggnogg und amerikanischen Weihnachtsliedern. Mein Mann hat sich immer darüber lustig gemacht, wie sentimental ich doch sei. Also habe ich schließlich auf alles Weihnachtliche verzichtet und mit ihm Actionfilme geschaut. Das hat unsere Ehe aber auch nicht gerettet. Bei seiner Neuen geht es total traditionell zu und er schwärmt immer von ihrem Weihnachtsmenü. Ich gratuliere ihm dann am Telefon verkniffen und schmeiße ein, zwei Weihnachtsteller an die Wand, das kriegt er gar nicht mit.“

„Aber jetzt sind Sie doch sehr glücklich mit Ihrem Timo.“

„Ja, das war ich, bis er mit diesem Thema angefangen hat. Ich fürchte, ich muss mich von ihm trennen.“

„Können Sie Weihnachten nicht vielleicht einfach überspringen? Sich erst an Silvester wieder treffen und so tun, als wäre nichts gewesen?“

„Das wäre unter Umständen eine Möglichkeit. Danke, Frau Dr. Körbchen, ich werde es ihm vorschlagen.“

„Noch ein Plätzchen für den Heimweg?“

„Ich bin mir nicht sicher. Die sehen mir arg nach Heilig-Abend-Keksen aus. Da muss man schon differenzieren.“

„Auf Wiedersehen, Angela. Schöne Adventszeit und einen guten Rutsch!“

„Auf Wiedersehen, Frau Dr. Körbchen. Frohe, äh, Festtage und bis nächstes Jahr.“ Angela verlässt als letzte Patiention die Praxis.

Wir atmen auf.

„Hol doch mal die Akten. Jetzt will ich auch wissen, was da passiert ist“, bittet meine Kollegin.

„Die sind doch vertraulich und so.“

„Das Licht ist doch so schlecht, da kann man die Namen eh kaum lesen. Ich will einfach nur wissen, was mit der Frau kaputt ist.“

„Hier, das hat uns ihre Schwester gegeben, so eine Art Tagebuch des Grauens, Blöde Bescherung. Das ist ja praktisch Literatur, das darf man schon lesen.“

Wir setzen und gemütlich auf die Therapiekissen und blättern in Frau Schusters Aufzeichnungen.

„Hier fängt es an. Wahrscheinlich gibt sie ganz klassisch ihrem Vater die Schuld.“

Meine Kollegin begann, mit ihrer ruhigen Therapeutenstimme vorzulesen:

Karl hasste Weihnachten. Das überall lauernde Geglitzer machte ihn nervös.
Schon Wochen vor dem verhassten Termin hatte sich die Stadt in einen irren Vergnügungspark mit Karussells, Zuckerwatte und blechern dudelnden Unterhaltungssongs verwandelt. Genügte es nicht, dass das grässliche Fest drei volle Tage dauern würde? Musste man ihn schon bei den Vorbereitungen dafür mit Lärm, Gedränge und Rauschgoldengeln belästigen?
„Heiße Kastanien!“, brüllte ihm jemand ins Ohr.
Karl seufzte und fasste nach der klebrigfeuchten Hand seiner jüngeren Tochter, um sie sofort wieder loszulassen. Wozu hatte Angela morgens einen unendlich langen Kampf mit ihrer Mutter um das Tragen von neuen, pelzbesetzten Handschuhen geführt, wenn sie sie sowieso nicht anzog und ihrem Vater die Reste aufgeweichter Lebkuchen an die Finger schmierte?
Er hatte mehrmals versucht, den wöchentlichen Familieneinkauf gegen die restlichen Haushaltspflichten inklusive Kindererziehung aufzurechnen, für die seine Frau einfach ein besseres Händchen hatte. Doch heute nützte ihm kein Argumentieren, Linda lag mit einem Gipsbein zuhause, und Karl musste sämtliche Weihnachtseinkäufe alleine erledigen.
Nicht alleine, korrigierte er sich, sondern mit drei Kindern im schwierigen Alter.
Im Prinzip fand er jedes Alter schwierig, seit die Kinder laufen konnten und ihm überallhin folgten. Die Unannehmlichkeiten hatten ihren Höhepunkt erreicht, als Miriam ihnen neulich ein Wesen als festen Freund vorgestellt hatte, das vermutlich nicht der menschlichen Spezies angehörte. Keine Haare, dafür lauter Ringe und Klammern im Gesicht, und überall tätowiert. Karl hatte kurz erwogen, das Luftgewehr aus dem Keller zu holen, doch Linda schien die Sache irgendwie im Griff zu haben, und außerdem war ja schließlich Advent.

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