Social Media, wie ich sie vor einigen Jahren kennengelernt habe, waren eine praktische und unaufgeregte Angelegenheit.
Ein bisschen Facebook mit Freunden, ein paar Mails an bestimmte Gruppe, die etwas organisieren wollte. Das höchste der Gefühle war ein Gruppenchat, in dem eine Überraschungsparty geplant wurde. All dies lief zwischen Personen ab, die sich perönlich kannten und ihre Kommunikation nur auf eine etwas elegantere Ebene gehievt haben. Gelegentlich war mal ein unbekannter Name dabei, aber dann wusste man zumindest: „Das ist die Schwester von Felix, die fährt bei mir mit zum Junggesellenabschied “ oder ähnliches.
Man erfuhr durchaus Privates, jedoch eher in einem Rahmen wie auf einem Klassentreffen, XY hat geheiratet, ZZ ist schwanger und ABC macht jetzt seinen Flugschein.
Die Posts blieben in einem erweiterten privaten Rahmen (außer wenn man etwas in den Privatsphäreeinstellungen versemmelt hat und der Chef lesen konnte, dass man unterdurchschnittlich zufrieden mit seinem Arbeitsplatz ist).
Social Media, wie ich sie kennengelernt habe, seit ich als Autorin im Netz vertreten bin, ist eine völlig andere Sache.
Seit ich mich entschieden habe, auch Anfragen von fremden Menschen anzunehmen, habe ich einen Querschnitt durch die Bevölkerung kennengelernt.
Menschen, die ich nicht kenne, posten über ihr Sexleben, ihren Liebeskummer, ihre finanziellen Probleme und ihren Stuhlgang. Manchmal steuern sie zur Untermalung Fotos bei oder verlinken weitere involvierte Personen, auf deren Seite oft zusätzliche Informationen geboten werden. (Besonders spannend bei Trennungen.)
Ein Fest für jeden Sozialwissenschaftler. Befremdlich für einen Social-Media-Neuling.
Viele Leute garnieren ihre Meldungen mit Stickern, grundsätzlich falschgeschriebenen Sprüchen/Plattitüden und Kleinkindsprache, die selbst meine dreijährige Tochter kaum versteht.
Seltsamer als die Statusmeldungen sind nur noch die Chatanfragen, die mich ab dem ersten Tag unaufgefordert erreichen. Es gibt Personen, die sich vorstellen und ihr Anliegen höflich zum Ausdruck bringen („Gibt es auch signierte Ausgaben deines Buchs?“). Es gibt Personen, die sich nicht vorstellen und ihr Anliegen sehr direkt zum Ausdruck bringen („wolle sex sex?“). Und es gibt Personen, die entweder kein Anliegen haben oder nicht in der Lage sind, dieses auszudrücken (Hii…huhu…a ne…hello…???).
Anfangs fühlte ich mich verpflichtet, auf jedes einzelne „Hallo“ oder „Hi“ zu antworten. Dem ist nicht mehr so, seit ich zwanzig völlig sinnfreie Unterhaltungen geführt habe (wie gehts? gut und dir? auch gut. was machste? nichts besonderes. und du? auch nichts besonderes.)
Und jetzt bin zu müde, um weiterzuschreiben. Ich hab nämlich letzte Nacht zu wenig geschlafen, weil es bei uns total abgegangen ist … Jahrestag, falls ihr versteht, was ich meine, haha, kicher kicher, Smiley, Sticker, lach, lol, omg…Details über die Stellungen, Fotos und Videos folgen später hier oder auf der Pinnwand von meinem Mann. Bitte vierzigmal liken, denn ich bin Lehrerin und möchte meinen Schülern zeigen, wie schnell sich sowas im Internet verbreitet, und außerdem hat Schatzi/Schnucki/Männe mir versprochen, dass er das Vorspiel verlängert, wenn seine Bilder oft genug geteilt werden, und außerdem liebe ich euch alle, ja, auch die, die ich nicht kenne, nur die Nazis nicht, und außerdem hab ich meine Tage und fahre morgen in Urlaub, (Adresse findet ihr unter Infos, liebe Einbrecher) und sage nur noch: please open your <3 und bleibt sauber!
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von Summa cum Liebe