Ich bin nun also im ersten Semester und studiere Germanistik. Das klingt ziemlich cool, weshalb ich es gern erzähle.
Leider muss ich, aus Vernunftgründen und aufgrund finanzieller Erpressung meiner Eltern, auf Lehramt studieren. Das klingt nicht mehr ganz so cool, deswegen erwähne ich es selten.
Der erste Tag an der Uni war okay, obwohl mich die Menschenmassen etwas verstört haben. In der Schule war alles irgendwie überschaubarer, aber da ich einundzwanzig und weltoffen bin, habe ich mir meine Verwirrung nicht anmerken lassen.
Ich war rechtzeitig aufgestanden und hatte mich hübsch gemacht. Etwas nervös war ich schon, und für diesen Fall wappne ich mich gern mit perfektem Make-up. Also schminkte ich mich sorgfältig im Nude-Look und föhnte mir dezente Wellen. Leider führen meine Haare ein Eigenleben und es braucht viel Zeit, bis sie natürlich fallen. Normalerweise binde ich mir einen Pferdeschwanz und ignoriere sie tagsüber. Aber diesmal wollte ich wie eine Naturschönheit wirken, die mit wehenden Locken sportlich zur Uni radelt. Zu meinem Pech spielte das Wetter nicht ganz mit. Der goldene Oktober begrüßte mich morgens um zehn vor acht mit einem Wolkenbruch. Nicht etwa um Viertel nach sieben, als ich noch in den Bus hätte steigen können. Nicht etwa um halb acht, als ich an meinem verrosteten Auto vorbeigegangen bin. Nein, um kurz vor acht, als ich mit meinen neuen, noch nicht imprägnierten Schuhen verbissen in die Pedale trat. Der Regen zerstörte nicht nur meine Naturlocken, sondern wusch mir auch die morgendliche Frische aus dem Gesicht. Mit Schnittlauchhaaren, Mascaraklümpchen und nassen Socken betrat ich die überfüllte Aula. Ein denkbar schlechter Start. Jaja, die inneren Werte und so weiter, aber schließlich kann man den Charakter nicht sehen.