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QualiFiction: Kann eine Software tatsächlich den Erfolg von belletristischen Manuskripten vorhersagen? (Teil 1)

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Mit 19 im Deutsch-Leistungskurs ist es mir zum ersten Mal passiert: Jemand hat eine Geschichte, die mich zu Tränen gerührt hat, in nüchterne Bestandteile zersetzt, die wie in einem Kochrezept zu einem wirkungsvollen Ergebnis zusammengefügt worden sind. Damals ging es um den Roman „Lovestory“ von Erich Segal. Er reich, sie arm, er in einer gefühlskalten Familie aufgewachsen, sie in einer herzlichen Beziehung zu ihrem Vater, er erfährt zum ersten Mal echte Liebe, sie stirbt früh an einer tragischen Krankheit. Segal habe ganz typische klischeehafte Elemente gewählt, die beim Leser starke Emotionen hervorrufen müssen, so unser Deutschlehrer. Ich war entsetzt. Ich wollte das nicht hören. Er war dabei, mir eins meiner Lieblingsbücher zu zerstören. Für mich war Literatur bis zu diesem Tag einfach nur Magie.

Dass hinter erfolgreichen Büchern so etwas wie Themenbausteine oder (noch schlimmer) eine Art Handlungsschema stecken kann, ging nicht in mein Gehirn.

Ab diesem Tag hasste ich meinen Deutschlehrer. Ich schrieb Kurzgeschichten, Gedichte und kurze dramatische Szenen, die sich in kein Schema pressen ließen. Es war mir wichtig, dass meine Texte originell, unvorhersehbar und niemals prototypisch waren. Ich schrieb mehrere Romananfänge, die mir stets nach kurzer Zeit nicht mehr gefielen. Ich hatte Worte für Zustände und Gefühle, aber es gab keinen roten Faden. Ich wusste beim Anfang nie, worauf ich eigentlich hinauswollte. Der erste Literaturagent, den ich anrief, empfahl mir „Kreativ schreiben“ von Fritz Gesing. Unter Vertrag nehmen wollte er mich nicht. Wenn ich mir heute meine damaligen Textfragmente anschaue, wundert es mich kein bisschen.

Schließlich begann ich, eine Menge über das Handwerk des Schreibens zu lesen. „Suspense“ von Patricia Highsmith, „Wie man einen verdammt guten Roman schreibt“ von James N. Frey, „Die Odyssee der Drehbuchschreiber“ von Christopher Vogler. Ich begann einen Lehrgang bei der Schule des Schreibens, den ich nach wenigen Monaten abbrach, weil er mich unglaublich langweilte. Im Studium (Hauptfach Deutsch, logisch) nahmen wir die sogenannte Trivialliteratur auseinander. Ich lernte eine Menge über den Aufbau eines Romans, aber neben dieser analytischen Beschäftigung schrieb ich immer noch meine ungeplotteten, originellen Texte, die in kein Schema passten. Bis ich eines Tages ein Buch in die Finger bekam, in dem typische Anfängerfehler beim Schreiben thematisiert wurden. (Ausgerechnet auf diesen Titel komme ich nicht mehr, aber was darinstand, ist mir umso genauer im Gedächtnis geblieben.)

Schreibanfänger sind meist arrogant, überheblich und halten die eigenen Musenküsse für pures Gold. Sie sind nicht bereit, ihre Texte zu überarbeiten, weil sie die Spuren ihrer Eingebung wortwörtlich festhalten wollen, die wie Manna vom Himmel auf sie herabgeschwebt sind. Sie benutzen „originelle“ Techniken, wie z.B. innerhalb eines Texts ständig zwischen der ersten und der dritten Person zu wechseln, was sie für genial halten; dabei ist es nur lächerlich und nervig. Und so ging es weiter.

Ich fühlte mich in jedem Punkt ertappt. Es war eine Erschütterung für mein Ego, aber ohne diesen heilsamen Schock wäre ich wohl niemals eine richtige Autorin geworden. Ich begriff, dass ich noch ganz am Anfang stand. Ich begriff, dass ich mich maßlos überschätzt hatte. Ich begriff, dass Talent zwar schön und gut war, es aber in erster Linie auf Handwerk, Disziplin und Übung ankam. Ich war endlich bereit, das Handwerk des Schreibens zu erlernen.

Und ich begriff endlich, dass ein schematischer Handlungsbogen nicht bedeutet, dass ein Text keine Seele hat. Ganz im Gegenteil. Wenn die Geschichte gut aufgebaut ist und logisch ist, dann fiebert man als Leser viel eher mit, als wenn man sich durch ein paar hübsch aneinandergereihte Worte quält, die im Nirgendwo enden. Ein/e Autor/in sollte nicht in erster Linie zu seinem eigenen Vergnügen schreiben, sondern zum Vergnügen des Lesers. Für den Autor darf es eine Herausforderung sein, die Geschichte rund zu machen, nicht aber für den Leser.

Und daher finde ich die Entwicklung einer Software, die belletristische Manuskripte bewertet, heute nicht gruselig, sondern sehr interessant.

Wie das genau funktioniert, erfahrt ihr im nächsten Artikel.

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