Leseprobe: Blöde Bescherung

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Karl hasste Weihnachten. Das überall lauernde Geglitzer machte ihn nervös.
Schon Wochen vor dem verhassten Termin hatte sich die Stadt in einen irren Vergnügungspark mit Karussells, Zuckerwatte und blechern dudelnden Unterhaltungssongs verwandelt. Genügte es nicht, dass das grässliche Fest drei volle Tage andauern würde? Musste man ihn schon bei den Vorbereitungen dafür mit Lärm, Gedränge und Rauschgoldengeln belästigen?
„Heiße Kastanien!“, brüllte ihm jemand ins Ohr.

Karl seufzte und fasste nach der klebrigfeuchten Hand seiner jüngeren Tochter, um sie sofort wieder loszulassen. Wozu hatte Angela morgens einen unendlich langen Kampf mit ihrer Mutter um das Tragen von neuen, pelzbesetzten Handschuhen geführt, wenn sie sie sowieso nicht anzog und ihrem Vater die Reste aufgeweichter Lebkuchen an die Finger schmierte?
Er hatte mehrmals versucht, den wöchentlichen Familieneinkauf gegen die restlichen Haushaltspflichten inklusive Kindererziehung aufzurechnen, für die seine Frau einfach ein besseres Händchen hatte. Doch heute nützte ihm kein Argumentieren, Linda lag mit einem Gipsbein zuhause und Karl musste sämtliche Weihnachtseinkäufe alleine erledigen.
Nicht alleine, korrigierte er sich, sondern mit drei Kindern im schwierigen Alter. (Im Prinzip fand er jedes Alter schwierig, seit die Kinder laufen konnten und ihm überallhin folgten, trotzdem hatten die Unannehmlichkeiten ihren Höhepunkt erreicht, als Miriam ihnen neulich ein Wesen als festen Freund vorgestellt hatte, das vermutlich nicht der menschlichen Spezies angehörte. Keine Haare, dafür lauter Ringe und Klammern im Gesicht, und überall tätowiert. Karl hatte kurz erwogen, das Luftgewehr aus dem Keller zu holen, doch Linda schien die Sache irgendwie im Griff zu haben, und außerdem war ja schließlich Advent.)

„Papa, kann ich noch einen Kinderpunsch?“, fragte Angela und drückte sich an seinen Mantel.
„… haben“, ergänzte Karl, „es heißt: Kann ich bitte noch einen Punsch haben!“
„Wir kommen zu spät“, sagte Miriam gelangweilt und betrachtete ihr Spiegelbild in einem Schaufenster, „Mama hat fünfzehn Uhr gesagt.“
„Mama ist nicht hier“, zischte Karl, „und sie hat keine Ahnung, wie schwierig das hier ist.“
„Doch, hat sie“, widersprach Tobias, „sie macht das sonst jedes Jahr.“
„Du hast noch keinen Stollen, wir müssen den Baum schmücken, und Oma kommt um fünf!“, zählte Miriam triumphierend auf und wedelte mit Lindas „to do“-Liste herum.
„Kann ich den Baum schmücken, kann ich?“, mischte Angela sich ein.
„Nein“, sagte Miriam, „das ist nichts für kleine Kinder.“
„Ich bin kein kleines Kind.“ Angelas Oberlippe zitterte.
„Jetzt heult sie gleich“, sagte Tobias zufrieden.

 

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